Predigt

Predigt von Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller
zur Eröffnung des Seligsprechungsprozesses

Konnersreuth - 1. Fastensonntag 2005, am 13. Februar

Das Leben der Dienerin Gottes Therese Neumann stand ganz im Zeichen der Passion Christi. Die Geschichte ihrer Seele formte sich gemäß dem Wort des Apostels: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“ (Phil 3,10f). Die Gemeinschaft mit seinem Leiden und Sterben prägte sich bis in ihren Leib aus, an dem sich seit 1926 die Wundmale Christi zeigten. Sie wurde an den Tagen des Leidens Christi und insbesondere am Karfreitag in ekstatischen Visionen vom bitteren Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus so erfasst, dass wie aus den Wunden Christi auch ihr das Blut aus den Stigmata hervorfloss.

Geboren am Karfreitag des Jahres 1898 verbrachte sie ihr ganzes Leben in Konnersreuth und erlitt am Fest der Schmerzen Mariens 1962 einen Zusammenbruch, an dessen Folgen sie wenig später am 18. September 1962 verstarb. Am Tag der Seligsprechung der hl. Therese von Lisieux, die sie sehr verehrt hat, wurde sie vom unfallbedingten Leiden der Blindheit und am Tag der Heiligsprechung von ihrer Lähmung befreit.

Ihr Leben war gleichsam umstellt vom Leid der Menschen. Der Erste Weltkrieg, dessen menschenverachtende Grausamkeiten Millionen von Menschen den Tod kostete, war gleichsam der schreckliche Auftakt für ein Jahrhundert, in dem die Menschheit mit den Mitteln ihres eigenen Zerstörungswahns ihren eigenen Untergang prophezeite. Der Zweite Weltkrieg führte in bisher ungeahnter Weise einen menschenverachtenden Feldzug gegen das Leben und ignorierte völlig die Würde und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Millionenfacher Tod Unschuldiger, so sei auch an diesem Tag des Gedenkens an die Opfer der Zerstörung Dresdens erinnert, ein Leben in größter Not und Verfolgung, ein Zerbrechen unzähliger Familien und die schiere Angst vor der Zukunft – all dieses Leid scheint Therese Neumann mitgespürt zu haben.

Abseits der großen Politik konnte sie im angenommenen Leid zugleich die sündhaften Wurzeln der menschenverachtenden Ideologie entlarven. Sie hat nicht die Augen verschlossen vor dem Leid der Menschen, sondern in der bewussten Konfrontation damit auf Jesus Christus verwiesen, der in seiner Auferstehung alles Leid und selbst den Tod überwunden hat.

Nach einem Leidensweg voller körperlicher Schmerzen und Qualen, aber auch Anfeindungen, hat sie bei Gott die Wahrheit der Verheißung erfahren dürfen:

„Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann.“ (Phil 3,20).

Therese wuchs in einer nüchternen und kraftvollen Frömmigkeit auf und bewahrte sich immer die innere Geradlinigkeit des oberpfälzischen Menschenschlags, der geprägt ist von einer rauen Natur und einer bäuerlichen Kultur, die den Menschen zur Strenge gegen sich selbst erzieht, aber auch zur Unerschütterlichkeit des Glaubens an das Wort, das „Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14). Ihr Leitspruch lautete: „Mir ist alles recht, Gesundheit und Kranksein, Leben und Sterben. Will der Heiland, dass ich arbeite, so arbeite ich, will er, dass ich leide, so leide ich. Schenkt mir der Heiland eine Freude, so nehme ich diese Freude an. Ich will keinen anderen Willen haben als den des Heilands.“

Die Frömmigkeit des katholischen Oberpfälzers hat nichts Verkünstelt-Weltfremdes an sich. Er weiß um die Einheit von Schöpfung und Erlösung, von der unverlierbaren gottebenbildlichen Würde des Menschen und zugleich seiner gnadenhaften Berufung zur Gotteskindschaft. Ihm ist die Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, wie sie nach der Liturgie der Karwoche gemäß den vier Evangelien verlesen wurde, nicht Anlass zu einem ästhetisch überhöhten Weltschmerz, sondern Aufruf zur Nachfolge Christi und zur Gleichgestaltung mit ihm: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich, und folge mir nach.“ (Lk9,24).

Und ein echter Katholik glaubt dem Wort Christi mehr als den Sadduzäern von damals und den Rationalisten von heute, die eine Auferstehung der Toten für unmöglich halten. Es macht ihm Spaß, wenn Jesus solche Leute abblitzen lässt, die ihm ein Falle stellen wollten: „Ihr irrt euch. Ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes“ (Mt 22,29).

Wer aber an der über 30jährigen Nahrungslosigkeit der Resl Anstoß nimmt, sollte zuerst bedenken, dass Gott es ist, der den Leib des Menschen geschaffen hat und ihm Nahrung zum irdischen vergänglichen Leben gibt, und dass Christus selbst das Brot des Lebens ist, das den Menschen in Seele und Leib in die Auferstehung hineinführt:

In der Synagoge von Kapharnaum lehrt Jesus die Leute, die sich seinetwegen in bekannter Betroffenheitsrhetorik besorgt, empört und erschüttert geben: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. So aber ist es mit dem Brot das vom Himmel herabkommt. Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch. Ich gebe es hin für das Leben der Welt.“ (Joh 6,48ff).

Man würde die im einzelnen noch zu prüfenden außerordentlichen mystischen Phänomene bei Therese Neumann, ihre Nahrungslosigkeit, die Stigmatisierung, ihre visionäre Ergriffenheit vom Leiden Christi, ihr Reden in aramäischer Sprache, missverstehen, wollte man sie als schlagende Beweise für die Existenz des Übernatürlichen sehen. Die mystischen Phänomene beweisen nicht den Glauben, sondern Gottes Geist bringt in den Gläubigen natürliche Gaben und übernatürliche Charismen hervor, um den Aufbau der Kirche, des geheimnisvollen Leibes Christi, zu bewirken. „Jedes Charisma ist gegeben, damit es anderen nützt.“ (vgl. 1 Kor 12,7). Ein Beweis für die Echtheit liegt darin, ob sich einer selbst rühmt und selbst darstellt, oder ob einer sich allein des Kreuzes Christi rühmt.

Zwischen abergläubischer Sensationslust und rationalistischer Überheblichkeit geht die Kirche ihren Weg in dem Wissen, dass Gottes Weisheit und Kraft stärker ist als alle Weisheit der vernunftstolzen Intellektuellen und alle Macht der Potentaten dieser Welt. „Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. Seht doch auf eure Berufung! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinne, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen.

Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn, heißt es schon in der Schrift.“ ( 1Kor 1,25-31).

Lassen wir den Hämischen ihren Spott, den Fortschrittlich-Aufgeklärten ihr Überlegenheitsgefühl, damit sie wenigstens etwas haben, wessen sie sich rühmen können.

Die einen haben den Spott und das Überlegenheitsgefühl, wir Christen haben den Gottesjubel: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter. Denn er hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut. ... Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten. Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen von Thron und erhöht die Niedrigen.“ (Lk 1,46ff).

Es ist doch zu billig, das Geheimnis des Lebens und Leidens der Therese Neumann auf die mangelnde höhere Schulbildung, auf gezielten Schwindel, auf hysterische Seelenzustände zurückzuführen, um nur ja das bequeme Vorurteil gegenüber jeder Transzendenz nicht aufgeben und sein materialistisch verengtes Weltbild nicht hinterfragen zu müssen.

Die Gabe der Unterscheidung der Geister erlaubt ein Urteil über die Echtheit mystischer Leidenserfahrung und ob sie wirklich aus Gott ist. „Der irdisch gesinnte Mensch lässt sich nicht auf das ein, was vom Geiste Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann. Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen. Denn wer begreift den Geist des Herrn? Wer kann ihn belehren? Wir aber haben den Geist Christi“ ( 1 Kor 2,14-16).

Die einfache Schneidertochter mit Volksschulbildung hat das diabolische Wesen Hitlers und den kriminellen Charakter seiner Weltanschauung schon lange vor der sog. Machtergreifung durchschaut, als große Massen des Volkes und viele Intellektuelle ihn wie einen göttlichen Erlöser umjubelten. Aus dem Konnersreuther Kreis kompromissloser Antinationalsozialisten ist neben Pater Ingbert Naab, Erwein Freiherr von Aretin besonders auch der Chefredakteur der Münchener Neuesten Nachrichten Dr. Fritz Gerlich zu erwähnen. Als eingefleischter Skeptiker und überzeugter Liberaler kam der geborene Protestant zum erstenmal 1927 in die Oberpfalz, um den „Schwindel von Konnersreuth“ aufzudecken. Unter dem Eindruck der Tatsachen entdeckte er die Wahrheit von Konnersreuth. Er fand zum katholischen Glauben und musste seine schonungslose Kritik am Regime Hitlers mit einem grausamen Tod im KZ Dachau 1934 bezahlen.

Therese wusste aus ihrem Leben im Geist Christi, dass Hitlers Macht auf der Lüge beruht und dass sein Hass nur zu Tod und Verderben führen kann. Nie ist ihr ein „Heil Hitler“ über die Lippen gekommen. Auf die nicht geheimen Wahlzettel schrieb sie offen: Nein! Es war ihr Bekenntnis gegen Lüge, Menschenverachtung und Unmenschlichkeit. Denn: Den Herrn deinen Gott sollst du anbeten und ihm allein dienen. Sie gehörte zu denen, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt hatten, weil man die katholische Kirche als mittelalterlich, hoffnungslos konservativ schmähte und sich bei seinem Marsch in die neue Zeit für so liberal, aufgeklärt und fortschrittlich wähnte.

Die wahren Propheten werdet ihr an ihren Früchten erkennen.

War Therese Neumann eine Prophetin des Glaubens und eine Frau eines heiligmäßigen Lebens?

Sie stellte sich demütig in den Dienst der Kranken und trug stellvertretend auch die Leiden der andern mit. „Einer trage des anderen Last. So erfüllt ihr Christi Gebot.“

Und der Apostel begründet die Möglichkeit stellvertretenden Leidens: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“ (Kol 1, 24).

Therese hat auch an der Gründung des Spätberufenenseminars in Fockenfeld entscheidend mitgewirkt, aus dem inzwischen 300 Priester hervorgegangen sind.

Das letzte Anliegen Therese Neumanns war die Gründung des Anbetungsklosters Theresianum, in dem täglich seit über 40 Jahren in den Anliegen der Kirche von Regensburg gebetet wird.

Ist es nur Zufall, dass alles so gefügt wurde, dass ihr Seligsprechungsprozess gerade jetzt im Jahr der Eucharistie beginnt, aus deren Geheimnis wir leben und die uns mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn verbindet, und die vom katholischen Priestertum nicht zu trennen ist? Die Dienerin Gottes Therese Neumann stehe uns in ihrem Gebet bei kraft ihrer tiefen Einheit mit dem aus Liebe für uns geopferten und von den Toten siegreich auferstandenen Christus, dem menschgewordenen ewigen Sohn Gottes, dass das Evangelium der Liebe in unserem Land ganz neu erkannt wird und tief in die Herzen der Menschen eindringt, damit wir alle Christus erkennen und die Macht seiner Auferstehung. „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden. Sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“ (Phil 3,10f).

Amen!
Konnersreuther Ring e.V. - Kirchplatz 3 - D-95692 Konnersreuth

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